- Ursachen: Wie entsteht eine Hüftkopflösung?
- Wer erkrankt an einer Hüftkopflösung?
- Anatomie: Epiphyse und Wachstumsfuge
- Symptome der juvenilen Hüftkopflösung
- Wie diagnostiziert der Arzt die Hüftkopflösung?
- Operation: Hüftkopfabrutsch als orthopädischer Notfall
- Welche Spätfolgen kann ein Hüftkopfabrutsch haben?
Bei der Hüftkopflösung bei Jugendlichen löst und verschiebt sich der Hüftkopf in der Wachstumsfuge auf dem Schenkelhals. Hormonelle Umstellungen in der pupertären Wachstumsphase schwächen diesen empfindlichen Knochenbereich so sehr, dass sich die Epiphyse unter Belastung verschiebt. Dieses Ereignis kann sehr rasch (akut) verlaufen oder über Wochen und Monate schleichend eintreten.
Ursachen: Wie entsteht eine Hüftkopflösung?
Synonyme zur Hüftkopflösung:
- Epiphyseolysis capitis femoris, kurz ECF
- jugendliche Hüftkopflösung
- Epiphysenlösung des Femurkopfes
- juvenile Hüftkopflösung
Die genaue Ursache der Hüftkopflösung ist nicht bekannt. Eine Veränderung im Gleichgewicht der Geschlechts- und Wachstumshormone scheinen bei Jugendlichen die Abläufe der Wachstumszone des Hüftgelenkes zu stören. Die Behandlung ist eine Notfallbehandlung.
Eine sofortige Operation kann schwere Komplikationen für den Jugendlichen vermeiden. Besonders gefürchtet ist die Hüftkopfnekrose (Absterben des Femurkopfes) bei akuten Hüftkopflösungen.
Als Folge kann eine Chondrolyse, also ein kompletter Knorpelverlust nach einer Hüftkopflösung, entstehen.
Wer erkrankt an einer Hüftkopflösung?
Die Hüftkopflösung betrifft in erster Linie übergewichtige Jugendliche mit einem bestimmten Körperstatus. Die meist männlichen Jugendlichen sind für ihr Alter in der Regel groß und etwas korpulent und der Schambereich wirkt eher unterentwickelt (Dystrophia adiposogenitalis). Auch massiv hochwüchsige Jugendliche scheinen ein erhöhtes Risiko für einen Hüftkopfabrutsch zu haben.
Das typische Alter für eine Hüftkopflösung ist zwischen dem 9. Lebensjahr und dem Wachstumsabschluss. Am häufigsten betroffen sind Jugendliche im 12. bis 13. Lebensjahr. Wichtig ist, dass die Hüftgelenkserkrankung in 50 % aller Fälle beidseits eintritt. Die Erkrankungswahrscheinlichkeit liegt bei etwa 1:12.000.
Anatomie: Epiphyse und Wachstumsfuge
Die anatomischen Gegebenheiten von Röhrenknochen sind wichtig zum Verständnis der Epiphyseolysis capitis femoris, dem Hüftkopfabrutsch beim Jugendlichen. Der Röhrenknochen besteht anatomisch aus vier Teilbereichen: Epiphyse (Endstück), Metaphyse (Zwischenstück), Diaphyse (Mittelstück) und Apophyse (Muskelansatz). Diese Knochenbereiche unterscheiden sich durch die Lage im Knochen und durch ihre Funktion.
Die Epiphyse ist im Kindes- und Jugendalter an beiden Enden von der Metaphyse durch die Wachstumszone (Epiphysenfuge) abgegrenzt. Die Epiphyse und die Wachstumsfuge spielen eine wesentliche Rolle bei der Epiphyseolysis capitis femoris. Die Epiphyse trägt die gelenkbildenden Anteile des Knochens. Während des Wachstums ist die Epiphyse knorpelig angelegt und verknöchert von einem Knochenkern (Epiphysenkern) aus. In der Wachstumszone (Epiphysenfuge) wächst der Oberschenkelknochen in die Länge. Dies erfolgt, indem die Wachstumsfuge und die Epiphyse (das Endstück des langen Röhrenknochens) zu den Enden hin wachsen. Möglich ist dies, indem in der Wachstumsfuge (Epiphysenfuge) neuer Knochen aus hyalinem Knorpel gebildet wird. Am Ende des Knochenwachstums verknöchert diese Zone vollständig.
Symptome der juvenilen Hüftkopflösung
Symptome der Hüftkopflösung:
- Hüftschmerzen
- Bewegungseinschränkungen der Hüfte
- Knieschmerzen
- Schmerzen im Oberschenkel
- verändertes Gangbild
- Schonhinken
- Außenrotation des Beines
- Beinlängendifferenz
Die Hüftbeschwerden des Jugendlichen entstehen, weil sich der Hüftkopf gegenüber dem Schenkelhals verschiebt. Dies schränkt die Funktion des Hüftgelenkes ein. Je nach Ausmaß des Hüftkappenabrutsches resultieren verschiedene Einschränkungen.
Schmerzhafte Bewegungseinschränkungen des Hüftgelenkes sind regelmäßig vorhanden. Je nach Verlauf oder Form der Hüftkopflösung klagen die Jugendlichen über Knieschmerzen an der Innenseite. Ziehende Beschwerden am vorderen Oberschenkel sind häufig vorhanden. Die Knieschmerzen werden meist erst verspätet einer Hüfterkrankung zugeordnet.
Die Gefahr für das Hüftgelenk kann nur durch eine rasche ärztliche Untersuchung des Hüftgelenkes und Diagnosestellung gebannt werden. Eine Veränderung des Gangbildes kann ebenfalls resultieren. Schmerzbedingtes Schonhinken durch Schmerzen im Hüftgelenk sind eher frühe Anzeichen. Bei größeren Verschiebungen der Hüftkopfkappe kann sogar eine Verkürzung auffallen. Ebenso kann es durch den Abrutsch des Hüftkopfes beim Hüftbeugen zu einer starken Außendrehung im Hüftgelenk kommen. Dies ist zugleich ein klinisches Zeichen für die Erkrankung (positives Drehmann-Zeichen).
Wie diagnostiziert der Arzt die Hüftkopflösung?
Die sofortige Röntgenuntersuchung beider Hüftgelenke in zwei Ebenen ist unabdingbar, um die Hüftkopflösung zu diagnostizieren. Eine Hüftkopflösung tritt bei etwa der Hälfte der Kinder beidseits auf. Die Erkrankung des Hüftgelenkes mit verändertem Hüftkopfbereich kann sofort festgestellt werden.
Wir unterscheiden verschiedene Formen der Erkrankung je nach zeitlichem Verlauf:
- drohender Hüftkopfabrutsch (Epiphyseolysis capitis femoris imminens): beginnende Epiphysenlösung mit im Röntgenbild aufgelockerter Epiphysenfuge
- gefährlicher akuter Hüftkopfabrutsch (Epiphyseolysis capitis femoris acuta): komplette Ablösung der Wachstumsfuge wie bei einem Schenkelhalsbruch des Hüftgelenkes
- schleichender Hüftkopfabrutsch (Epiphyseolysis capitis femoris lenta): langsames Abgleiten des Hüftkopfes vom Oberschenkelknochen mit begleitender Auflockerung der Wachstumsfuge
Die Hüftkopfkappe oder Epiphyse des Oberschenkels ist typisch nach hinten und innen verschoben. Eine zweite Röntgenebene in der Technik nach Lauenstein (in Beugung und mittelgradiger Abspreizung des Hüftgelenkes) ist immer erforderlich. Die verschiedenen Formen der Erkrankung sind nicht starr zu sehen. Die Hüftkopfkappe kann jederzeit massiv abrutschen. Es resultiert eine komplette Geh- und Stehunfähigkeit des Jugendlichen.
Operation: Hüftkopfabrutsch als orthopädischer Notfall
Durch die Fehlstellung zwischen dem Oberschenkelknochen und der Hüftkopfkappe entsteht eine kritische Durchblutungssituation. Diese kann bei zu später oder nicht erfolgter Therapie zu bleibenden Schäden führen. Der Epiphysenbereich kann absterben oder in zunehmend ungünstigerer Stellung anwachsen.
Wurde die Diagnose einer Epiphyseolysis capitis femoris gestellt, müssen wir schnellstmöglich operieren. Die Art der Operation hängt von vielen Parametern ab. Die Hüftoperation kann entweder nur das Ziel einer Befestigung der Epiphyse des Hüftkopfes haben (Fixierung der Hüftkopfkappe in ihrer natürlichen Position) oder es kann eine Stellungsverbesserung durch Reposition der Hüftkopfkappe notwendig sein. Die Epiphyseolysis capitis femoris ist einer der wichtigsten orthopädischen Notfälle, die keinen Aufschub dulden. Eine nicht operative Therapie gibt es nicht. Bei einem akuten Hüftkopfabrutsch ist keine weitere Belastung möglich und sollte auch nicht versucht werden.
Die Operation verbessert die Stellung der Hüftkappe durch ein sog. Repositionsmanöver. Eine Entlastung des entstandenen Blutergusses im Hüftgelenk ist im Rahmen der Hüftoperation dringend notwendig. Da die juvenile Hüftkopflösung häufig beide Seiten betrifft, führen wir eine sofortige beidseitige Versorgung der Hüftgelenke durch. Die symptomfreie Seite wird je nach Alter mit stabilen Drähten oder mir Zugschrauben versorgt.
Welche Spätfolgen kann ein Hüftkopfabrutsch haben?
Die Prognose der Epiphyseolysis capitis femoris hängt im Wesentlichen von der frühzeitig gestellten Diagnose und Therapie ab. Eine gefürchtete Folge der Erkrankung ist die Chondrolyse des Hüftgelenkes (Waldenström-Syndrom). Hierbei kommt es zu einer vollständigen Zerstörung des Knorpels im Hüftgelenk ohne bekannte Ursache. Die Prognose dieser Knorpelerkrankung nach einer Epiphyseolysis capitis femoris ist trotz langzeitig durchgeführter Entlastung des Hüftgelenkes sehr schlecht.
Die bei der Hüftkopflösung mit nachfolgendem Hüftkopfabrutsch auftretende Durchblutungsstörung der Epiphyse des Oberschenkels kann zum Knochentod des Hüftkopfes führen. Diese Hüfterkrankung ist dem Morbus Perthes und der Hüftkopfnekrose des Erwachsenen in der Entstehung ähnlich, aber die Prognose ist komplett verschieden. Die Kompensationsmechanismen kurz vor Wachstumsabschluss sind deutlich geringer als beim sechsjährigen Kind mit einem Morbus Perthes. Die Anpassung ist aber noch deutlich besser als bei einem Erwachsenen mit einer Hüftkopfnekrose.
Die Folgen einer Durchblutungsstörung bei einem Hüftkappenabrutsch sind immer eine Verzögerung des Krankheitsverlaufes und eine Veränderung der Hüftform. Diese kann einen vorzeitigen Hüftverschleiß oder eine Hüftarthrose zur Folge haben. Die Fehlform oder Deformität kann zu Einklemmungserscheinungen des Hüftgelenkes führen (Impingement der Hüfte).
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