Der Kniegelenkersatz (Endoprothese) ist eine fest etablierte operative Behandlungsmethode der Gelenk-Klinik Gundelfingen. Bei fortgeschrittener Arthrose verhilft der Gelenkersatz den Patienten zu einer deutlichen Verringerung ihrer Schmerzen und einem Gewinn an Lebensqualität.
Dennoch sind nicht alle Patienten nach einem Gelenkersatz zufrieden mit dem Ergebnis der Operation.(1)(2)(3) Etwa jeder Vierte berichtet über Bewegungseinschränkungen und Schmerzen im Gelenk. Die Hauptgründe dafür liegen unter anderem in einer nicht korrekten Ausrichtung der Prothesenkomponenten (Malalignment), in postoperativen Fehlstellungen des Beines oder einer Instabilität des operierten Kniegelenkes.
Unterstützende Assistenzsysteme dringen zusehends in den medizinischen Bereich vor, die dem Arzt hoch exakte Instrumente für die Durchführung einer Endoprothesen-Operation an die Hand geben.
Diese roboterassistierte Navigation ermöglicht dem Operateur, den von ihm am Computer geplanten Eingriff millimetergenau umzusetzen. Die Gelenk-Klinik setzt seit Herbst 2020 das Steuersystem NAVIO von der amerikanischen Firma Smith & Nephew ein. Für eine Operation mit diesem System ist es nicht notwendig, dass sich der Patient einer vorherigen computertomographischen Untersuchung und damit einer gewissen Strahlenbelastung unterzieht.
NAVIO arbeitet mit einer computergesteuerten Fräse zur Abtragung von Knochenmaterial. Das Instrument schaltet sich sofort ab, sobald der Operateur den zuvor geplanten Operationsbereich verlässt. Dies ermöglicht die präzise und auf den Patienten zugeschnittene Implantation des Kunstgelenkes. Mit Hilfe des NAVIO-Systems ist es dem Arzt möglich, die erforderliche Stabilität der umgebenden Bänder und die Spannung in den Weichteilstrukturen zu berücksichtigen.
Neueste Daten zeigen für Knieteilprothesen (sogenannte Schlittenprothesen) unter Einsatz der roboterassistierten Navigation eine geringe Revisionsrate, also sehr selten die Notwendigkeit, eine Prothese im zeitliche Verlauf auszutauschen.
Vor diesem Hintergrund ergänzt das NAVIO-System in der Gelenk-Klinik die chirurgische Expertise der Spezialisten für Endoprothese-Operationen optimal und findet in ausgewählten Fällen seinen Einsatz.
- Was ist das NAVIO-System?
- Operiert beim NAVIO-System ein Roboterarm?
- Wie läuft eine Knieprothesen-Operation mit roboterassistierter Navigation ab?
- Wie profitiert der Patient von einer roboterassistierten Navigation beim Einsatz von Knieendoprothesen?
Was ist das NAVIO-System?
NAVIO ist eine robotergestützte Technologie, mit der die Implantation einer Knieteil- oder Knievollprothese individuell geplant wird und die den operativen Ablauf präzise steuert.
Das Navigationssystem greift in keinem Fall aktiv in den Operationsprozess ein, sondern unterstützt den Operateur bei der Arbeit in den komplexen anatomischen Kniestrukturen. Der Chirurg führt das Roboterwerkzeug, welches den Knochen bearbeitet, mit seiner Hand.
Ohne zusätzliche Strahlenbelastung optimiert das NAVIO-System die Planung für den Gelenkersatz. Es handelt sich um ein sogenanntes bildfreies System ohne eine vor der Operation durchzuführende Computertomographie. Es beruht auf dem Prinzip der Navigation (Steuerung) und erstellt selbständig während der Operation alle notwendigen Daten für eine virtuelle Abbildung der Anatomie und Bewegungsachsen des Knies eines Patienten. Der Operateur erhält vom NAVIO-System alle notwendigen Daten zur gewünschten Zeit (4).
Das handgehaltene Roboterwerkzeug führt präzise Bohrungen und Schnitte aus, verbessert die Positionierung der Implantate sowie deren Achs- und Rotationsausrichtung im Vergleich zum konventionellen Vorgehen (5). Hieraus ergibt sich als Ergebnis der roboterassistierte Navigation eine exakte, visuell nachvollziehbare und der Bewegung des Patienten entsprechende optimale implantierte Knieprothese.
Dies führt dazu, dass Patienten nach einer Knieprothesen-Operation seltener unter einer Fehlstellung ihres Kniegelenkes leiden und sich weniger häufig Korrekturoperationen unterziehen müssen als Patienten, die ohne roboterassistierte Navigationssysteme operiert wurden (6)(7).
Operiert beim NAVIO-System ein Roboterarm?
Nein, der Arzt führt für die gesamte Dauer der Operation das Handstück und bestimmt auch den Operationsablauf. Eine roboterassistierte Navigation ist nicht gleichzusetzen mit einer Operation durch einen Roboter.
Während eines Eingriffes mit Beteiligung des NAVIO-Systems führt der Chirurg die Operation selbst durch. Er nutzt die spezielle Computertechnik von NAVIO, um die Komponenten optimal zu positionieren und an die individuellen Verhältnisse des Patienten anzupassen. Dies geschieht während der Operation über einen Computer. Der Roboter hilft dabei, diese Berechnungen auf das Knie des Patienten zu übertragen. Dabei finden zu jeder Zeit Kontrollen durch den Operateur statt. Den gesamten Ablauf der Operation bestimmt also der Chirurg. Nach seiner Erfahrung kann er jederzeit vom vorgegegeben Plan abweichen.
Das Navigationssystem berechnet nicht nur die optimale Lage einer Prothese und das optimale Vorgehen während der Operation, es schützt den Operateur auch vor manuellen Fehlern: Die Fräse des Navigations-Handstückes schaltet sich automatisch aus, wenn die Grenzen der geplanten und notwendigen Knochenpräparation durch den Chirurgen überschritten werden.
Wie läuft eine Knieprothesen-Operation mit roboterassistierter Navigation ab?
Erster Schritt: Operationsplanung und Datenerfassung (Registrierungsphase)
Der Chirurg führt nach Eröffnung des Kniegelenkes und vor Beginn der eigentlichen Präparation am Gelenk ein computergestütztes Handstück über die Oberfläche des Kniegelenkes. Er sammelt in diesem Moment in Echtzeit Daten und erfasst die anatomischen Kniestrukturen des Patienten. Aus diesem Grund ist bei diesem Verfahren vorab keine Bildgebung durch eine Computertomographie erforderlich.
Eine spezielle Software, das NAVIO-Surgical-System, verwendet diese Daten, um ein dreidimensionales Computermodell der Knieoberfläche zu erstellen. Dieses Modell steht dem Chirurgen während der gesamten Operation auf einem Monitor zur Verfügung. Es basiert auf den patienteneigenen Anatomie- und Weichteildaten. Das NAVIO-System berücksichtigt zusätzlich den vollständigen Bandapparat des Knies mit seinem Bewegungsradius und den gegebenen Bandstabilitäten. All diese Komponenten werden vom Operateur beim Einsatz des künstlichen Kniegelenks berücksichtigt, um ein für den Patienten optimales Ergebnis zu erhalten.(8)(9)
Zweiter Schritt: Operation mit Assistenz und Navigation durch das NAVIO-System
Der Chirurg führt bei der Operation das computergesteuerte Handstück und bereitet die knöchernen Oberflächen von Oberschenkel (Femur) und Schienbeinkopf (Tibiakopf) vor. So können die Elemente des künstlichen Kniegelenkes in der zuvor geplanten Position eingesetzt werden. Mit dem Handgerät führt der Chirurg präzise Bohrungen und Schnitte am Knochen aus, um die einzelnen Prothesenkomponenten exakt einzusetzen.
Operationstechnische Fehler durch den Operateur werden durch ein automatisches Abschalten der Fräse für die Knochenbearbeitung auf ein Minimum reduziert. Die Fräse schaltet sich in dem Moment ab, wo sie in Bereiche kommt, in denen keine Bearbeitung geplant wurde.
Vorteile einer knieendoprothetischen Operation mit Unterstützung durch das NAVIO-System für den Patienten:
- Der Arzt entfernt so wenig Knochenmaterial vom Patienten wie möglich und wird dabei durch das NAVIO-System unterstützt.
- Die Platzierung der einzelnen Prothesenelemente sowie die Achsausrichtung und die Rotationseinstellung am betroffenen Bein sind deutlich exakter.
- Anpassung an die individuelle Anatomie und die individuelle Bandspannung
Die ärztliche Expertise der Spezialisten bestimmt das chirurgische Vorgehen vor und während des Eingriffes und kann vom computergestützten Plan abweichen. Das bedeutet, der Operateur hat stets die Möglichkeit, das genaue Vorgehen im Verlauf der Operation an die Gegebenheiten anzupassen.
Wie profitiert der Patient von einer roboterassistierten Navigation beim Einsatz von Knieendoprothesen?
Die Roboterassistenz ermöglicht einen präzisen chirurgischen Eingriff. Auf diese Art eingesetzte Knieendoprothesen weisen einer exaktere Beinachse und Implantatpositionierung auf verglichen zu konventionellen Implantationstechnik. Erste Studienergebnisse deuten eine geringere Wechselrate an als bei konventionellen Verfahren. Die Patienten profitieren von einer kürzeren Genesungszeit und besseren Lebensqualität.
Verbesserte Kniefunktion und geringere Rate an Korrekturoperationen
Beim Einsatz einer Knieendoprothese verbessert die Roboterassistenz die Genauigkeit der Implantatpositionierung im Knochen des Patienten. Korrekturoperationen (Revisionsoperationen) aufgrund von Fehlstellungen des Implantates oder der Gliedmaßen sind nach einem robotergestützten Protheseneinsatz geringer als bei Patienten, die ohne Navigationssysteme operiert wurden. Die individuelle Planung und chirurgische Präzision durch die Roboterassistenz verbessert deutlich die Erfolgsrate der eingesetzten Kniegelenke (7) (10) (11) (12)
Anpassung an die individuelle Anatomie
Jeder Mensch besitzt seine ganz individuelle Anatomie. Es gibt verschiedenste Ausprägungen von Beinachsen und nicht jede ist gerade. Die häufigsten Fehlstellungen sind das sogenannte O-Bein (Genu varum) und das X-Bein (Genu valgum). Bei diesen Fehlstellungen sind vor allem der innere (O-Bein) oder der äußere (X-Bein) Kniegelenkspalt verschlissen. Man spricht von einer medialen (zur Körpermitte hin orientierten) oder lateralen (zur Seite orientierten) Arthrose.
Plant der orthopädische Chirurg, bei diesen Beinfehlstellungen eine Knieprothese zu implantieren, passt er diese an die vorhandene Beinachse individuell an und nimmt gegebenenfalls eine Achskorrektur vor.
Die Spezialisten der Gelenk-Klinik achten entsprechend den Vorgaben der modernen Kniechirurgie darauf, dass diese Korrekturmaßnahmen die anatomischen Möglichkeiten des Kniegelenkes nicht überschreiten und die Bandstrukturen des Patienten nicht überlastet werden.
Bei diesen häufig durchgeführten Korrektureingriffen stellt die Roboterassistenz ein überaus hilfreiches Instrument für den dem Operateur dar. Die NAVIO-Software plant virtuell die Position der Prothese, angepasst an die bestehende Anatomie: Die Software errechnet dem Operateur das Ergebnis, das er nach Einbau der Prothese in der gewählten Position erhalten würde. Verändert der Operateur diese Position, kalkuliert die Systemsoftware zeitgleich, wie sich diese Veränderung auf die Anatomie auswirken würde. Auf diese Weise hilft die roboterassistierte Navigation dem Operateur bereits vor der Operation, die optimale Position zu finden, ohne die vorhandenen Kniegelenksstrukturen zu überlasten.
Mit Hilfe der computergesteuerten Fräse wird der berechnete Operationsplan umgesetzt. Nur diejenigen Knochenanteile, die der Operateur mit Hilfe der Software berechnet hat, werden auch mit der Fräse bearbeitet. Die Geschwindigkeit der Fräsung gibt der Operateur vor, in dem er das Handstück des Roboters führt. Damit gewährleistet das NAVIO-System die exakte Umsetzung der geplanten Operationsschritte.
Weniger Komplikationen während der Operation
Eine Studie ergab, dass Patienten bei einer computernavigierten Operation weniger Blut verlieren als bei einem herkömmlichen operativen Eingriff (13). Auch das Risiko für eine Thrombose (Blutgerinnsel) oder eine Lungenembolie (Blutgerinnsel in den Blutgefäßen der Lunge) nach der Operation ist unter der computernavigierten Knieendoprothetik geringer als bei der konventionellen Operationstechnik. (14) (15)
Schnellere Genesung und kürzere Rehabilitation
Unter Einsatz der Computernavigation kann der Chirurg weniger invasiv und gewebszerstörend arbeiten, bezogen auf die umgebenden Weichteilstrukturen wie Muskeln und Bänder und Knochenresektion. Das Gewebe wird weniger verletzt und die Genesungszeit verkürzt sich.(16)
Die Roboterassistenz ermöglicht eine optimale Positionierung des künstlichen Gelenks. Dadurch kann die natürliche Kniefunktion im Rahmen der anschließenden Physiotherapie zügig wieder hergestellt werden. Die Patienten profitieren von einer schnelleren Belastbarkeit und können früher aus dem Krankenhaus entlassen werden als Patienten nach einer konventionellen Implantation der Knieendoprothese. (17) (18)
Patienten, die eine roboterassistierte Endoprothese erhalten haben, geben an, nur wenig unter Schmerzen zu leiden. Sie berichten über eine bessere Funktion ihres operierten Knies, das sie problemlos bei ihren Sport- und Freizeitaktivitäten einsetzen können. (19)
Literaturverzeichnis
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